Verbraucherbildung in Schulen: Das Rüstzeug für den Konsumalltag vermitteln

Wie würden Sie entscheiden? Beim Einkaufen im Supermarkt fehlen Ihnen noch Äpfel. Sie entscheiden sich:
- für Äpfel aus Deutschland. Hier sind die Transportwege am kürzesten,
- für Äpfel aus Neuseeland; diese Äpfel sind unbelastet, weil es dort wenig Industrie gibt oder
- für Äpfel aus integriertem Anbau, weil die Umweltaspekte dabei automatisch am besten berücksichtigt werden.

Dies ist eine von 17 Fragen, die der Verbraucherzentrale Bundesverband im Februar 2006 Berliner Schülerinnen und Schülern ab der 10. Klasse anlässlich des diesjährigen Weltverbrauchertages vorgelegt hat, um Näheres über ihr Konsumwissen zu erfahren. Und es ist diejenige Frage, die von den wenigsten Schülerinnen und Schülern richtig beantwortet wurde. Aber auch in anderen Konsumfeldern, etwa beim Umtauschrecht, dem Internethandel oder der Kreditaufnahme, ist es bei den jungen Konsumenten um das Rüstzeug für den Alltag nicht zum Besten bestellt. So würden knapp 80 Prozent bei einer Online-Bestellung mehr angeben als nur ihre Adresse, und bei der Taktung der Handy-Tarife wussten erstaunlich viele nicht, was die günstigste Variante ist.

Konsum-Laien mit Recht auf Bildung

Insgesamt wurde im Durchschnitt lediglich die Hälfte der Fragen von den 570 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern richtig beantwortet. Sicher  mit einer rosa gefärbten Brille könnte man auch beruhigend festhalten, dass immerhin die Hälfte der gestellten Fragen richtig gelöst wurde.
Doch Anlass zur Beruhigung besteht nicht. Wenn man die Ergebnisse differenziert betrachtet, bestätigt die Studie die Befürchtungen, dass viele Schülerinnen und Schüler die Schule als Konsum-Laien verlassen. Offensichtlich erhalten Kinder und Jugendliche weder im Elternhaus noch in der Schule ausreichende Unterstützung und Vorbereitung auf ihre Verbraucherrolle. In vielen Fällen scheitert die Bildung der nachwachsenden Generationen allein daran, dass die Erwachsenen selbst Nachholbedarf in Sachen Konsumwissen haben. Verlassen sich die Eltern auf die Schulen, bleibt es im Schulunterricht vornehmlich dem Engagement der Lehrer überlassen, ob sie ihren Schülerinnen und Schülern das Rüstzeug vermitteln, um ihren Konsumalltag verantwortlich und verständig zu bewältigen. Statt diese Mängel anzugehen, versuchen die zuständigen Bildungspolitiker, die Verantwortung zur Verbraucherbildung an Nichtregierungsorganisationen abzuwälzen. Alarmierend sind vor allem die Wissenslücken, die in Real- und Gesamtschulen zu Tage gefördert wurden. Was sind deren Ursachen, was die Folgen? Welche Schritte sind notwendig, um die Lücken zu schließen?

Diese Fragen standen im Mittelpunkt des diesjährigen Weltverbrauchertages. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa stand dieser Tag ganz im Zeichen der Verbraucherbildung. Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft veranstaltete eine zentrale Veranstaltung in Wien zum Thema, die Verbraucherzentralen in Deutschland begingen den Tag mit zahlreichen Aktivitäten und Aktion rund um das Rechts der Verbraucher auf Information und Bildung, wie es in Artikel 153 EG-Vertrag verankert ist.

Die Fiktion des mündigen Verbrauchers

Bildungslücken in Konsumfragen haben gravierende individuelle, soziale und gesamtwirtschaftliche Folgen. Beispiele sind Fehlernährung und Übergewicht, die hohe Zahl falsch abgeschlossener Versicherungsverträge und ein nicht nachhaltiger Lebensstil in einer Geiz-ist-Geil-Gesellschaft. Allein ernährungsbedingte Krankheiten verursachen jährlich Kosten für das Gesundheitswesen in zweistelliger Milliardenhöhe und sind ein Indiz dafür, dass Eltern und Schule nicht das Notwendige leisten, um Kinder und Jugendliche auf das Leben als Konsument vorzubereiten. Das Leitbild des Europäischen Gerichtshofs vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher ist leider nicht Realität. Fehlende Rechte, ein Mangel an Information und Bildung lassen den mündigen Verbraucher zur Fiktion werden.

Was die Kinder und Jugendlichen betrifft - es gab wohl noch nie eine Generation, die sich so selbstbewusst, fordernd und anspruchsvoll am Markt bewegt hat. Kindern und Jugendlichen stehen heutzutage Geldsummen in immenser Höhe zur Verfügung - laut KidsVerbraucherAnalyse 2005 des Egmont Ehapa Verlages verfügen die Sechs- bis 13-jährigen, das sind etwa 5,9 Millionen Kinder, über eine jährliche Kaufkraft von rund 5,5, Milliarden Euro. Dieses Geld wird natürlich nicht nur gespart, es wird ausgegeben für angesagte Turnschuhe, den Snack zwischendurch, den neusten MP3-Player oder für das Handy mit dem besten Image.

Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen im Konsumalltag könnten verhindert werden, wenn die Menschen bereits im Kindes- und Jugendalter besser auf das Leben als Konsumenten vorbereitet würden. Dies ist umso notwendiger, da es in einer zunehmend komplexen und von Anbietern dominierten Konsumwelt immer schwieriger wird, für sich individuell und für die Gesellschaft insgesamt die richtigen Konsumentscheidungen zu treffen.

Beispiel: Bildung für Nachhaltige Entwicklung

Besorgnis erregend sind unter anderem die Wissenslücken bei Fragen des Nachhaltigen Konsums als überlebenswichtiges Thema des 21. Jahrhunderts. Unsere größte Herausforderung im 21. Jahrhundert ist, die noch so abstrakt erscheinende Idee einer Nachhaltigen Entwicklung zur Realität für alle Menschen werden zu lassen, brachte UN-Generalsekretär Kofi Annan dies auf den Punkt.
Das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung steht für eine Verbindung von ökonomischer Stabilität, dem Erhalt der ökologischen Ressourcen und des Gleichgewichts des Naturhaushaltes sowie sozialer Gerechtigkeit sowohl zwischen den Geschlechtern und Generationen als auch zwischen den Industrienationen des Nordens und den sich entwickelnden Ländern des Südens. Nachhaltiger Konsum bedeutet demnach, bei Kaufentscheidungen nicht nur die Qualität und Langlebigkeit eines Produktes zu berücksichtigen, sondern auch die Frage, wer es wo unter welchen ökologischen und sozialen Bedingungen hergestellt hat.

Zur Umsetzung eines solch komplexen Konzeptes sind alle gesellschaftlichen Akteure gefragt. Verbraucher müssen ihren Anteil erkennen und wahrnehmen. Sie müssen sich der Folgen ihrer Konsumentscheidungen bewusst werden und daraus verantwortliches Handeln ableiten. Einen wichtigen Beitrag leisten dabei Informationen über Produkte, über ihre Herstellung, ihre Gebrauchseigenschaften und ihre Entsorgungsmöglichkeiten. Um jedoch tatsächlich verantwortungsvolles zukunftsfähiges Verhalten der heranwachsenden Generation zu fördern, müssen diese Informationen verstanden und bewertet werden.

Dies ist Aufgabe der Verbraucherbildung. Dabei sollte Wissen immer möglichst nah am Lebensalltag und wenig abstrakt vermittelt werden. So ist auch die Debatte um Nachhaltigkeit und Lebensstile immer eng mit der Diskussion und Bestimmung der individuellen Werte verknüpft. Hier stellt sich etwa die Frage, ob gut zu leben gleichbedeutend ist mit viel zu haben oder ob materielle Werte vielleicht doch nur ein Ersatz sind für emotionale Bedürfnisse. Auf diese Weise bereitet Bildung für Nachhaltige Entwicklung nicht nur auf eine verantwortliche und selbst bestimmte Lebensführung vor. Sie bieten auch die Möglichkeit, Werte und Einstellungen zu diskutieren, zu überprüfen und zu Veränderungen zu ermutigen.

Was leistet der vzbv in Sachen Verbraucherbildung?

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) verfolgt die Strategie, sowohl auf politische Lobbyarbeit, als auch auf Verbraucherinformation und auf Verbraucherbildung zu setzen. So engagiert sich der vzbv seit langem im Bereich der Verbraucherbildung etwa mit der Entwicklung von Lehrmaterialien und der Durchführung von Projekten und Kampagnen. Im Fokus steht dabei die unmittelbar persönliche, alltägliche Erfahrungswelt der Menschen. Schwerpunkte der Aktivitäten sind der richtige Umgang mit Geld, Themen zur Gesundheit und Ernährung, Hauswirtschaft, Mediennutzung und Nachhaltigkeit. Unter anderem engagiert der vzbv sich im Nationalkomitee für die UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung“ als Moderator des Arbeitskreises Konsum für die Vermittlung von Bildung für einen nachhaltigen Konsum.

Mit der Internet-Plattform www.verbraucherbildung.de wendet sich der vzbv an Lehrkräfte in Schule und Erwachsenenbildung. Sie stellt modellhaft Unterrichts- und Kurseinheiten zu verschiedenen Konsumthemen zum kostenlosen Download zur Verfügung. Auch der Fragebogen zum Weltverbrauchertag ist dort eingestellt, so dass jeder Interessierte sich und sein Verbraucherwissen selbst testen kann.

Der vzbv ist auch am von der Europäischen Union geförderten Projekt Consumer Education for Adults (CEA) beteiligt, das sich an Erwachsene richtet. Neben einem Handbuch zur Verbraucherbildung mit Erwachsenen und einer CD-ROM wurden sieben Module zur Verbraucherbildung1 unter Nachhaltigkeitsaspekten entwickelt, die sich an Erwachsene richten. Eines dieser Module beschäftigt sich zum Beispiel mit den ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen des Textilkonsums. Zu jedem Modul werden fachliche Grundlagen sowie konkrete Durchführungsvorschläge angeboten.

In einer zweiten Projektphase erarbeitet derzeit CEAN (Consumer Education for Adults Network) Richtlinien für die Beurteilung von Projekten und anderen Aktivitäten der Verbraucher- und Nachhaltigkeitsbildung. Zudem sollen Empfehlungen für die Berücksichtigung spezieller Zielgruppen entwickelt und Vorschläge gemacht werden, wie Verbraucher- und Nachhaltigkeitsbildung für Erwachsene auf nationaler Ebene gestärkt werden können. Die Projektergebnisse werden am 29. Mai 2006 auf einer internationalen Konferenz in Berlin – mit dem vzbv als Gastgeber vorgestellt.

Was muss geschehen?

Verbraucherwissen fliegt einem nicht einfach zu, sondern muss erlernt werden. Um eine bewusste und souveräne Entscheidung treffen zu können, muss der Verbraucher nicht nur ausreichend informiert, er muss auch ausreichend gebildet sein. Dies gilt umso mehr, je komplexer und unübersichtlicher das Waren- und Dienstleistungsangebot wird und je mehr Eigenverantwortung vom Verbraucher verlangt werde. Ebenso benötigten die Unternehmen Konsumenten, die in der Lage sind, Qualität, seriöses Geschäftsgebaren und eine nachhaltige Produktion zu honorieren.

Während Verbraucherpolitik es sich unter anderem durch die Instrumente der Gesetzgebung, durch behördliche Kontrolle und Überwachung zur Aufgabe machen muss, für den Schutz der Verbraucher zu sorgen, zielt Verbraucherbildung auf deren Aktivierung zu eigenverantwortlichem Handeln. Das Ziel der Verbraucherbildung besteht vor allem in der Übernahme von Verantwortung für Konsumentscheidungen, die sich zum einen pragmatisch am persönlichen Budget auszurichten haben, zum anderen jedoch durch Werte wie soziale und/oder ökologische Kriterien geleitet sein müssen.
Wir brauchen ein breites Bündnis aus Verbraucherpolitik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung und eine Offensive für Verbraucherbildung an deutschen Schulen, um eine Kehrtwende einzuleiten. Der Satz „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ muss in Deutschlands Schulen endlich wieder gelebt werden. Dabei muss sich der Unterricht durch eine hohe Alltagsrelevanz auszeichnen, die Schüler müssen in ihrer Erfahrungswelt abgeholt werden.

Ziel muss es sein, dass niemand von der Schule entlassen werden darf, dem nicht das Basiswissen für den Konsumalltag vermittelt wurde.

Zentrale Schritte, um dies zu erreichen sind,

  • die grundsätzliche Anerkennung des Rechts der Schüler auf Verbraucherbildung als Teil des Allgemeinwissens und im Umkehrschluss die Pflicht der Schulen zur Verbraucherbildung,
  • die Verankerung von Verbraucherbildung in den Lehrplänen aller Schularten von der Grundschule bis zum Gymnasium, in allen Bundesländern und auf allen Altersstufen,
  • die Weiterentwicklung traditioneller Fächer wie Hauswirtschaft/Haushaltslehre und Arbeitslehre zu einem eigenständigen Fach „Ernährungs- Verbraucherbildung“,
  • Integration von Verbraucherthemen in Lehrpläne, Stundentafeln, Kerncurricula, Lehr- und Lernmaterialien und Schulbücher auch in anderen Fächern (Wie liest man einen Kauf- oder Versicherungsvertrag? kann beispielsweise im Deutschunterricht behandelt werden. „Welche Rolle spielt Musik in der Werbung? im Musikunterricht),
  • die Erarbeitung von überprüfbaren Bildungsstandards,
  • Stützung der Verbraucherbildung durch die Aus- und Fortbildung kompetenter Fachlehrer,
  • die Einrichtung einer Europäischen Verbraucheragentur analog zur Europäischen Umweltagentur zur systematischen Untersuchung zum Stand der Verbraucherbildung in Europa sowie deren Unterstützung.

Edda Müller